Die Flüchtlinge am Berliner Oranienplatz campieren seit über einem Jahr in einem provisorischen Zeltlager. Die zugesagte feste Unterkunft lässt auf sich warten. Und während der Winter naht, steigt unter den Bewohnern der Verdruss: nicht nur über die Politik, sondern auch über die Medienöffentlichkeit.
Das Protestcamp am Oranienplatz in Kreuzberg: benötigt wird konkrete Hilfe statt gut gemeintem Voyeurismus. Foto: Felix Weiß
Bashir Zakari beugt sich im Halbdunklen über einen Laptop, der sein Gesicht beleuchtet und in seinen großen Händen fast verschwindet. Der stämmige Nigerianer lebt seit einem Jahr in dem Camp. Der Laptop nimmt seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch – offensichtlich kann er sich trotzdem unterhalten. „Ich antworte nicht mit den Augen“, erklärt er ohne den Blick vom Bildschirm zu heben. Die Informationen über das Oranienplatz-Camp kann er auch im Schlaf abspulen – dass es seit einem Jahr existiert, dass die Bewohner aus allen Gegenden der Welt kommen und dafür kämpfen, dass sich das Asylsystem ändert. Aber eigentlich möchte Zakari dieses Gespräch gar nicht führen. Eigentlich möchte er überhaupt gar nicht hier sein und tagtäglich seine Geschichte für die Journalisten wiederholen.
In den Ästen der fast kahlen Bäume hängen die zerfetzten Überreste eines Transparents, darunter gruppieren sich Zelte, gespannte Planen und einige Informationstafeln. Dazwischen schleichen die Flüchtlinge umher, manche nur mit Badelatschen an den Füßen. Unter einer Plane türmt sich gespendete Kleidung zu einem bunten Berg und macht den Laubhaufen Konkurrenz. „Wir wollen unsere Freiheit wiedererlangen. Wir wollen uns frei bewegen und wie normale Menschen behandelt werden“, fasst Zakari die Forderungen der Bewohner zusammen. Dazu gehört auch, dass die Protestler nicht mehr in Zelten auf dem zugigen Platz wohnen, sondern ihnen eine wetterfeste Bleibe zur Verfügung gestellt wird. Versprochen wurde ihnen das schon vor Wochen vom Bezirk. Getan hat sich bisher nichts. Das Thema Winterquartier ist ein Reizthema im Zelt. „Zu der versprochenen Unterkunft kann ich nichts sagen, weil ich nichts weiß. Wir warten jeden Tag“, braust Zakari auf. Und außer Warten bleibt den Bewohnern des Oranienplatzes nicht viel übrig. „Ansonsten machen wir nichts. Wir schlafen, wir essen, wir kämpfen“.
Da sind die Medienvertreter die einzige Abwechslung. Nach einem zunächst vertrauensvollen Verhältnis, kippte die Stimmung in den letzten Monaten jedoch. Schuld daran ist sicher auch die schlechte Berichterstattung, die einsetzte, nachdem die Leidenswege der Flüchtlinge hinlänglich ausgeschlachtet waren. Die Tatsache, dass sich trotz unzähliger Interviews und Auftritte in der Öffentlichkeit – am wirksamsten wohl bei einer Parteiveranstaltung der Grünen im Oktober – die Situation nicht ändert, trägt ihren Teil zum Verdruss im Camp bei.
Die Eingänge der Notunterkünfte sind mit Wolldecken verhangen. Dahinter offenbart sich eine bescheidene Behaglichkeit aus Teppichen und Polstern. Neben Zakari steht ein Fernseher, die Nachrichten laufen. In der Mitte ein Tisch, umgeben von Feldbetten und Sofas, auf denen andere Flüchtlinge Platz genommen haben. Auf dem Tisch stehen gespendete Lebensmittel, die von den Zeltbewohnern begutachtet werden. Joghurt, Kekse und rohes Fleisch, an dem gerochen wird, ob es noch genießbar ist. Neben Einzelpersonen – „guten Deutschen“ – die Geld, Lebensmittel und Sachspenden bringen, sind es auch Die Grünen, die Zakari als Unterstützer des Camps nennt.
Unter den Bewohnern entspannt sich eine hitzige Diskussion über die Zukunft. Viele haben ihre Geschichte in Mikrofone und Notizzettel diktiert, einer kann die Telefonnummern von 15 verschiedenen Journalisten aufweisen, die sich für seine Geschichte interessieren, aber ein Haus für den Winter ist trotzdem nicht in Sicht. Warum also weitererzählen? Zu viele Versprechen wurden gegeben – eingelöst die wenigsten. Anstatt gut gemeintem Voyeurismus brauchen die Bewohner konkrete Hilfe. Einer der Flüchtlinge schlägt die Decke am Eingang zur Seite und verlässt wütend das Zelt. Die Bewohner des Lagers kamen nach Europa, um am Wohlstand des Kontinents teilzuhaben. Nun wären die in Berlin-Kreuzberg Gestrandeten schon mit einer festen Unterkunft für den Winter zufrieden, am besten, bevor das löchrige Protesttransparent in den Bäumen komplett zerfetzt ist.
Felix Weiß