Proteste gegen „Agentengesetz“

Nachdem Zehntausende auf die Straße gingen, um gegen das sogenannte „Agentengesetz“ zu protestieren, hat die georgische Regierung das Gesetz vorerst fallen gelassen. Kritik kam vor allem aus der Zivilgesellschaft und der EU.

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Wolken von Tränengas wabern über den Rustaveli-Boulevard, Menschen verhüllen ihre Gesichter und suchen nach Freunden und Verwandten und über allem hängen die Klänge der Europahymne, „Ode an die Freude“, die aus den Lautsprechern des Organisationskomitees der Demonstration schallt. Es ist eine surreale Situation.

Zehntausende waren in der georgischen Hauptstadt Tiflis auf die Straße gegangen, um gegen einen umstrittenen Gesetzesentwurf zu protestieren. Neben Tränengas setzte die Polizei auch Wasserwerfer ein. Nach zwei Nächten Massendemonstrationen vor dem georgischen Parlament hat die Regierungspartei „Georgischer Traum“ das Gesetz zur „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ am 09. März 2023 zurückgezogen.

Tränengas vor dem Parlament und auf dem Rustaveli Boulevard am 07./08. März 2023.

Das geplante Gesetz orientierte sich stark an dem sogenannten „Agentengesetz“, das in Russland seit 2012 in Kraft ist und aus dem Ausland finanzierte zivilgesellschaftliche Organisationen und Medienunternehmen auf eine Liste setzt. Dem georgischen Parlament lagen zwei Gesetzesentwürfe vor, denen zufolge sich zivilgesellschaftliche Organisationen, die mehr als 20 Prozent ihres Budgets aus dem Ausland erhalten, als „ausländische Agenten“ registrieren müssten. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ nennt „Transparenz“ als Hauptgrund für die Gesetzesinitiative.

Rechtliche Grundlage um Gegner mundtot zu machen

Ein Argument, das die Journalistin Mariam Nikuradze nicht gelten lassen möchte. Sie arbeitet für das unabhängige Nachrichtenportal OC Media, das ebenfalls zum Großteil von ausländischen Stiftungen und Förderprogrammen finanziert wird.

„Die meisten der Organisationen, die das betrifft, sind doch schon transparent. Wenn man wissen möchte, wie OC Media finanziert wird, kann man auf unserer Internetseite nachlesen, welche Organisationen uns unterstützen. Zudem übermitteln wir jedes Jahr eine detaillierte Steuererklärung und eine Jahresbilanz, so Nikuradze.

Die Autoren des Gesetzes hätten unlängst zugegeben, dass die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen bereits transparent hinsichtlich ihrer Finanzen seien und dass es primär um die Erfassung in dem vorgesehenen Register ginge. Denjenigen, die sich nicht registrieren lassen möchten, drohten Geldstrafen und im wiederholte Falle sogar Gefängnis.

Durch die vagen Formulierungen ließe sich die rechtliche Grundlage schaffen, um unbequeme Akteure aus Zivilgesellschaft und Medien jederzeit mundtot zu machen. So ließ der Vorsitzende der Regierungspartei „Georgischer Traum“ Irakli Kobakhidze verlauten, dass man mit dem Gesetz unter anderem auf das durch den European Endowment for Democracy – einem Förderprogramm des EU-Parlaments – geförderte „Shame Movement“ abzielen würde. Das Shame Movement ist eine liberale Jugendbewegung, die der Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung nahesteht, der Partei des ehemaligen Präsidenten Mickhail Saakashvili, der derzeit in Georgien inhaftiert ist. In der Tat überrascht es, dass das EU-Parlament durch die Förderung einseitig die Innenpolitik Georgiens beeinflusst.

Agent“ ist negativ konnotiert

Der Gesetzentwurf hätte aber auch andere Bereiche der Zivilgesellschaft betroffen. Für die Journalistin Nikuradze stehen zwei Aspekte im Vordergrund: „Das Wort „Agent“ ist sehr negativ konnotiert, es geht also in erster Linie, um die Rufschädigung einiger einflussreicher Organisationen. Unsere zweite Sorge ist, dass dieses Gesetz einen weiten Interpretationsspielraum zulässt. Das Justizministerium und die Staatsanwaltschaft hätten das Recht die gelisteten Organisationen zweimal jährlich zu überprüfen. Aber es ist nicht konkret definiert, was das heißt. Wir wissen nicht, wie viel Macht sie haben werden. Das kann heißen, dass sie private Informationen über alle Mitarbeitenden erhalten könnten.“

Nikuradze hat das russische Gesetz als Negativbeispiel vor Augen. „In Russland begann es 2012 und wurde nach und nach verschärft. Nun ist der Punkt erreicht, dass Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen schließen oder ins Exil gehen mussten. Wie können wir sicher sein, dass uns nicht das gleiche Schicksal droht? Wir können es nicht.“, fragt die Journalistin.

Eingebracht wurde der Gesetzesvorschlag Mitte Februar von einer Gruppe so genannter „unabhängiger“ Parlamentsabgeordneter, die jedoch der Regierungspartei nahestehen. Beobachter bewerten das als Versuch der Regierung erstmals vorzufühlen, wie die Reaktion ausfallen würden. Nach wenigen Tagen kündigte der „Georgische Traum“ an das Gesetz vollumfänglich zu unterstützen. Zunächst waren es die Medien, die protestierten und mit anderen zivilgesellschaftlichen Vertretern eine Erklärung unterzeichneten, in der sie das Vorhaben verurteilten und ankündigten, sich nicht registrieren zu lassen, sollte das Gesetz in Kraft treten.

Medien und Zivilgesellschaft demonstrieren hinter dem Parlament am 06. März 2023.

Schlägerei im Parlament

Bei den Beratungen und der ersten Lesung im Parlament kam es zu turbulenten Szenen. Akkreditierte Journalisten wurden gewaltsam aus dem Gebäude entfernt; der Vorsitzende des Rechtsstaatsausschusses schlug einem Oppositionspolitiker auf den Kopf, wodurch sich eine Schlägerei im Parlament entfachte. Gegner des Gesetzentwurfs wurden als „Feinde“ der in Georgien sehr einflussreichen orthodoxen Kirche bezeichnet.

Anders als die Ukraine und Republik Moldau hat Georgien im vergangenen Jahr nicht den Status eines „EU-Beitrittskandidaten“ erhalten. Die EU legte hingegen ein 12-Punkte-Plan vor, der zuvor zu erfüllen sei. Unter anderem geht es um Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung, Stärkung der Zivilgesellschaft und Schutz der Pressefreiheit. Auch wenn georgische Regierungspolitiker nicht müde wurden zu beteuern, dass das Gesetz zu „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ nicht in Kontrast zum erklärtem Ziel einer EU-Integration stünde, verurteilte der EU-Außenbeauftragte Joseph Borrell den Entwurf als „inkompatibel mit EU-Werten und Standards“. Die Umsetzung hätte zudem „ernsthafte Auswirkungen“ auf die Beziehungen zwischen der EU und Georgien.

Auch der EU-Botschafter in Georgien Paweł Herczyński, der sich gemeinsam mit anderen Botschaftern von EU-Ländern mit Parlamentssprecher Shalva Papuashvili traf, sagte nach dem Treffen, dass das Gesetz dem 12-Punkte Plan der EU-Kommission entgegen stehen würde. Die Erfüllung dieses Planes ziele jedoch auf die Neubewertung des Antrag auf EU-Kandidatenstatus für Georgien ab.

Der EU-Parlamentsabgeordnete Andrius Kubilius, ehemaliger Premierminister Litauens, ist Mitglied des Parlamentsausschusses für auswärtige Angelegenheiten und fragte, ob die geplante Gesetzesinitiative bedeuten solle, dass die georgischen Behörden keine EU-Unterstützung mehr für ihre lebhafte Zivilgesellschaft haben möchten. Und ob sie, da sie selbst EU-Fördermittel erhalten, sich selbst als „ausländische Agenten“ bezeichnen werden.

Massendemonstration vor dem Parlament m 07. März 2023.

Zivilgesellschaft übernimmt wichtige Aufgaben

Georgien erhält von der EU jährlich 100 Millionen Euro als technische und finanzielle Unterstützung. Hinzu kommen themenspezifische Förderprogramme. Allein im Rahmen eines EU Wirtschafts- und Investitionsplans nach der Covid-Pandemie soll Georgien im Zeitraum 2021-26 von 3,9 Mrd. EUR profitieren, um die heimische Wirtschaft zu stärken. Die einzelnen Mitgliedsstaaten unterstützen zudem auch individuell. Deutschland gehört neben den USA zu den größten bilateralen Fördermittelgebern Georgiens. 2020/21 unterstützte Deutschland Georgien mit über 200 Mio Euro, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie abzufedern.

Die aus dem Ausland finanzierte georgische Zivilgesellschaft übernimmt Aufgaben, die in anderen Ländern eigentlich dem Staat zukommen oder von staatlicher Seite unterstützt werden. Jugendarbeit, Frauenrechte, sexuelle Minderheiten, Menschen mit Behinderung – all diese Bereiche werden aus dem Ausland gefördert. Neben der lebendigen westlich orientierten Zivilgesellschaft, sind aber auch konservative Gruppen aktiv, wie sich beispielsweise bei regelmäßigen Protesten gegen die Tbilisi Pride und sogenannte „Gay Propaganda“ zeigen.

In Georgien stehen sich die beiden großen Parteien Georgischer Traum und Vereinte Nationale Bewegung, des ehemaligen Präsident und derzeit inhaftierten Mikhail Saakashvili, unversöhnlich gegenüber. Wahlkämpfe sind von gegenseitigen Schmutzkampagnen und der Betonung der Verfehlungen des politischen Gegner geprägt. Tatsächliche Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit, Umweltprobleme oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse werden selten angesprochen.

Die georgische Präsidentin Salome Zurabishvili bekräftigte ihren Willen das Gesetz mit ihrem Veto scheitern zu lassen. Die Regierungspartei, die die absolute Mehrheit im Parlament besitzt, kündigte an dieses Veto zu überstimmen. Nun, nach zwei Nächten Massendemonstrationen unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern, die vorläufige Rücknahme der Gesetzesinitiative.

Lavieren zwischen EU-Annäherung und Beziehungen zu Russland

Georgien galt einst als Musterkandidat unter den Ländern der „Östlichen Partnerschaft“ für eine Annäherung an die EU. Seit 2014 ist ein Assoziierungsabkommen in Kraft. Dass der Gründer der Regierungspartei Bidzina Ivanishvili, der den Grundstock für sein Milliarden-Vermögen in den 1990er in Russland gemacht hat, im Hintergrund nach wie vor die Fäden der georgischen Politik zieht, obwohl er sich offiziell aus der Politik zurückzog, ist ein offenes Geheimnis. Auch ungeachtet wirtschaftlicher Interessen muss der georgische Staat vorsichtig zwischen Westorientierung und guten Beziehung zum nördlichen Nachbarn Russland lavieren.

Die Regionen Abchasien und Südossetien, die völkerrechtlich zu Georgien gehören, de-facto aber mit Unterstützung Russland unabhängig agieren, bilden einen ungelösten Konflikt, der eine vertiefte Integration Georgiens in westliche Strukturen, wie EU oder NATO, derzeit unmöglich macht. Seit 2008 überwacht die Beobachtermission „EUMM“ die European Union Monitoring Mission den Konflikt vor Ort. Viel getan hat sich seitdem nicht. Und angesichts der wirtschaftlichen Verbindungen des Oligarchen Ivanishvili zu Russland werfen die Gegner der Regierungspartei ihr einen kremlfreundlichen Kurs vor.

Im Gegensatz zu den Oppositionsmedien hat OC Media die Charakterisierung der Regierung als „pro-russisch“ bisher vermieden. Dies änderte sich nun. Die Journalistin Nikuradze erklärt, wie sie in den letzten Jahren und vor allem seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine eine Abkehr vom Westkurs der Regierung beobachtet hat:

„Zuvor hat der Georgische Traum zumindest so getan als ob sie pro-westlich wären. Sie haben ein Anti-Diskriminierungsgesetz und eine Arbeitsrechtsreform auf den Weg gebracht. Inwiefern das umgesetzt wird, ist natürlich noch mal eine andere Sache, aber auf dem Papier sah es zumindest gut aus. Nach dem Beginn des Krieges änderte sich das. Die Regierung griff einzelne Botschafter direkt verbal an. Zum Beispiel wurde die US-Botschafterin mehrmals beleidigt. Der ehemalige EU-Botschafter und generell der Westen wurden beschuldigt gemeinsam mit der Ukraine zu versuchen Georgien in den Krieg hineinzuziehen und eine zweite Front zu eröffnen. Russland wiederum lobte Georgien für die Entscheidung westliche Sanktionen nicht mitzutragen. Und es gab Berichte darüber, dass Georgien Russland hilft westliche Sanktionen zu umgehen.“

EU-Flagge vor dem georgischen Parlament am 07. März.

EU-Mitgliedschaft für 2030er geplant

Hier reihen sich Fälle der letzten Wochen und Monate ein, in denen russischen Aktivisten und Journalisten, die dem Kreml kritisch gegenüberstehen oder in Russland als „ausländische Agenten“ gelten, die Einreise nach Georgien verweigert wurde. Selbst, wenn sie schon vor Ausbruch des Krieges im Land lebten.

Schätzungsweise 70% Prozent der georgischen Bevölkerung bezeichnen sich als pro-europäisch und befürworten eine verstärkte Anbindung des Landes an die EU. Dies erklärt die Größe der Demonstrationen. „Nein zum russischen Gesetz“ war einer der Slogans, die die Menge immer wieder lauthals skandierte. Ikonisch die Aufnahme der Frau, die die EU-Flagge schwenkte und, durch andere gestützt, dem Strahl des Wasserwerfers trotzte. Eine vergleichbare Begeisterung, wenn die Europahymne erklingt und die Anzahl der EU-Flaggen, sucht man in einem EU-Mitgliedsstaat vergeblich. Der Status als EU-Beitrittskandidat wäre für den Großteil der Menschen hier ein wichtiger Schritt zu einer Vollmitgliedschaft, die vonseiten der Regierung für die 2030er Jahre anvisiert wurde.

Ob dieses Ziel nach wie vor verfolgt wird, ist nicht eindeutig. Bei der parlamentarischen Abstimmung zum Zurückziehen des Entwurfs fehlte ein Großteil der Abgeordneten der Regierungspartei. In einem Statement beklagten die Befürworter, das Gesetz sei fälschlicherweise als „russisches Gesetz“ bezeichnet wurden. Ob es bei dem geplanten Gesetz, um eine Annäherung an Russland oder um innenpolitische Machtkonsolidierung ging – im Sinne einer Westorientierung wäre beides nicht. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ und „People’s Power“, die Gruppe von Parlamentsabgeordneten, die das Gesetz einbrachten, kündigten bereits an, dass sie der Öffentlichkeit besser erklären würden, warum es wichtig sei die Transparenz ausländischer Einflussnahme sicherzustellen, sobald sich die emotionale Erregung wieder legen würde. Die Zukunft des Gesetzes und Georgiens bleibt also ungewiss.

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