Studierendenproteste in Tiflis: Dialog und Unterdrückung

Eine aktualisierte Version dieses Artikels erschien am 28. Juli 2016 in Ausgabe Nr. 30 der Jungle World und auch online. Die Fotos wurden dankenswerterweise von DF Watch zur Verfügung gestellt.

Die Studentenbewegung Auditoria #115 fordert weitreichende Reformen des georgischen Bildungssystems. Einem Protestmarsch und der Besetzung des Universitätsgeländes, folgte ein Treffen mit Premierminister Giorgi Kwirikaschwili. Der Politiker versprach Reformen und die gemeinsame Arbeit an einem neuen Bildungsgesetz. Trotz dessen kam es zu Einschüchterungsversuchen der Aktivisten durch staatliche Sicherheitsdienste.

Ein Sonntagnachmittag Mitte April in Tiflis: der Campus der Staatlichen Universität Tiflis ist gut gefüllt. Auffallend sind zudem die Fernsehteams, die rauchend neben ihren ins Leere starrenden Kameras stehen oder erwartungsvoll durch die Flure schleichen. In dem Raum mit der Nummer 115 traf sich vor wenigen Minuten eine Studierendenversammlung mit dem amtierenden Premierminister Georgiens Giorgi Kwirikaschwili. Gute anderthalb Stunden nahm sich der Politiker Zeit, um sich unter Ausschluss der Presse die Probleme der Studierenden anzuhören und Lösungsvorschläge zu präsentieren. Unter dem Namen Auditoria #115 zogen die Studierenden am Vortag vor das Regierungsgebäude, besetzten Teile des Universitätsgeländes und erzwangen so das Treffen mit dem Premierminister.

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Geheimdienstmitarbeiter an den Universitäten

Es ist die Fortsetzung eines Protestes der im Februar begann und sich zunächst gegen korrupte Strukturen und das universitäre Sicherheitspersonal wandte. „Die studentische Selbstverwaltung der Universität veruntreute 25.000 Lari, das entspricht etwa 10.000 Euro. Außerdem steht sie unter erheblichem Einfluss staatlicher Sicherheitsstrukturen und der Regierung,“ erzählt Otto Kobakhidse, Psychologiestudent und einer der Aktivisten. Die Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes, so genannte ODRs, finden sich in vielen Behörden und Institutionen. Transparency International kritisiert diese Praxis und bezeichnet sie als Hinterlassenschaft der Sowjetzeit. Die Hauptforderungen des Protests waren zunächst die Auflösung der studentischen Selbstverwaltung sowie die Neubesetzung des universitären Sicherheitspersonals. Außerdem richtete sich die Kritik gegen einen Kandidaten für den Posten des Rektors, der aus den Reihen der umstrittenen Studentenschaft stammt. Er soll 2011, als kritisch gestimmte Studierende verprügelt wurden, als stellvertretender Rektor seine schützende Hand über die Täter gehalten haben.

Im März kam es zu einer achttägigen Besetzung des Universitätsgeländes. „Draußen stand die Polizei, drin waren wir. Doch als uns der Bildungsminister eine Neustrukturierung der studentischen Selbstverwaltung versprach, verließen wir das Gelände“, berichtet Kobakhidse. Hoch waren die Erwartungen unter den Protestlern. Der neue Entwurf, der im April veröffentlicht wurde, zeigte jedoch, dass nur Namen geändert wurden, die eigentliche Struktur jedoch erhalten blieb. Die Studierenden fühlten sich betrogen und nahmen ihren Protest wieder auf.

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Universitäten vom Rest des Landes isoliert

Inzwischen geht es längst nicht mehr nur um Belange, die die Tifliser Universität betreffen. „Wir fordern, dass Bildung zu einer Priorität in unserem Land wird“, so Kobakhidse. „Wir generieren kein neues Wissen. Wir wiederholen nur Althergebrachtes und das ist nicht zeitgemäß, teilweise sogar rassistisch, sexistisch und homophob.“ Als Beispiel nennt der Student eine Konferenz zu Genderthemen und LGBTI-Rechten, die an der Universität ausgerichtet werden sollte. Aufgrund der Ankündigung rechter Gruppierungen, die Veranstaltung mit allen Mitteln zu verhindern und der fehlenden Zusage seitens der Hochschulleitung für ausreichenden Schutz zu sorgen, verlegten die Veranstalter den Veranstaltungsort kurzfristig. „Das ist ein deutliches Beispiel dafür, wie bestimmtes Wissen nicht verbreitet werden kann und bestimmte Themen an den Universitäten nicht diskutiert werden können. Und das alles nur wegen einiger extremistischer Gruppierungen,“ resümiert Kobakhidse.

Die georgischen Universitäten werden von Auditoria #115 als isoliert vom Rest des Landes angesehen. Es bestehe kein gesellschaftlicher Austausch und sie trügen nichts zur gesellschaftlichen Entwicklung bei. Zudem sei es vielen jungen Menschen aus finanziellen Gründen nicht möglich eine akademische Ausbildung zu erhalten. 900 Euro zahlen Studierende der Tifliser Universität laut Kobakhidse pro Studienjahr. In einem Land, in dem das monatliche Durchschnittseinkommen zwischen 200-300 Euro liegt, ist das viel Geld. Premierminister Kwirikaschwili schlug der Studierendenversammlung vor einen größeren Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukts für Bildungsbelange aufzuwenden. In einer Pressemitteilung begrüßte er die aktive Beteiligung von Auditoria #115 an der Reform des Bildungswesens. Der Dialogprozess solle transparent sein und sich zukünftig fortsetzen. Zudem äußerte er sich optimistisch, dass dieser Dialog zu einer verbesserten Qualität der Gesetzgebung beitragen werde und er sich persönlich einbringen wolle.

Bedrohung von Aktivisten

Die abwartende Stimmung auf dem Campus, die Mitte April mit vorsichtigem Optimismus gepaart war, hat sich nun umgekehrt. Berichte über Einschüchterungsversuche seitens staatlicher Stellen verunsichern die demonstrierende Studentenschaft. Einige Aktivisten ständen unter Beobachtung und Eltern einiger Teilnehmender von Auditoria #115 sei bei Hausbesuchen mit Jobverlust oder sogar Inhaftierung gedroht wurden, sollten ihre Kinder ihren Protest nicht aufgeben. Die Studentin Natia Karchiladse berichtet in einem Video, das über den Facebook-Account einer unabhängigen Mediengruppe veröffentlicht wurde, dass ihr Vater, der bei der Verwaltung angestellt sei, von seinem Vorgesetzten zu einem Gespräch gebeten wurde. „Sein Chef sagte ihm, dass sie ihm einen Job gegeben hätten und seine Tochter würde nun gegen sie kämpfen. Wenn er sagt wir würden gegen sie kämpfen, meint er, unsere Forderung, dass sich die ODRs aus der Universität zurückziehen“, so die Studentin. Der Abteilungsleiter dementierte, dass dieses Gespräch stattgefunden habe. „Ich bin nicht die einzige, die das betrifft. 10-15 Leute sehen sich mit dem gleichen Problem konfrontiert. Sie sprechen aber nicht öffentlich darüber, weil ihren Familien mit Kündigung oder Inhaftierung gedroht wurde“, so Karchiladse.

„Premierminister Kwirikaschwili versprach sich mit Vertretern von Auditoria #115 und Juristen zu treffen, um gemeinsam ein neues Bildungsgesetz auszuarbeiten,“ erzählt Guji Gogoberischwili. Der junge Mann wurde von der Polizei festgenommen, als er das Logo der Bewegung Auditoria #115 auf den Bürgersteig vor der Universität sprühte. „Sie haben mich über Nacht festgehalten und befragt, wer mich beauftragt hat und wie viel Geld ich dafür bekommen würde“, berichtet der Student. Obwohl er mehrere Stunden inhaftiert war, sei er nicht schlecht behandelt wurden.

EU-Delegation im Dialog mit der Regierung

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes teilte auf Anfrage mit: „Die deutsche Botschaft verfolgt die Studierendenproteste und die gesellschaftlichen und politischen Reaktionen darauf aufmerksam.“ Die EU-Delegation in Georgien äußerte sich ähnlich. Man sei mit den Forderungen der Protestler und den Einschüchterungsvorwürfen vertraut. „Wir haben ein Dialogformat mit der Regierung, innerhalb dessen wir Themen besprechen, die vor allem auch Menschenrechte betreffen. In Bezug auf die Studierendenproteste werden wir diesen Rahmen weiterhin nutzen“, so ein Sprecher der EU-Delegation.

Dem lang ersehnten Treffen Anfang Juli mit Bildungsminister Aleksandre Jejelava folgte nun die Ernüchterung. „Er weigerte sich die Versprechen einzuhalten, die er und der Premierminister uns zuvor gaben. Damit ist unser Dialog sinnlos und wir haben die Verhandlungen abgebrochen,“ so ein Sprecher von Auditoria #115. Mit Beginn des neuen Semesters im September soll der großangelegte Protest wieder aufgenommen werden. Wie sich das auf die im Oktober anstehenden Parlamentswahlen auswirken wird, bleibt ungewiss.

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