Dieser Artikel erschien am 17. Juli 2012 auf EurActiv.de
Im September 2012 soll Kosovo die volle Souveränität erhalten. Die internationale Schutztruppe KFOR und die EU-Rechtsstaatsmission Eulex sollen die Entwicklung rechtsstaatlicher Strukturen unterstützten. Der umstrittene Status des Nordkosovo sowie die Organisierte Kriminalität erschweren jedoch den demokratischen Transformationsprozess.
Anfang Juli beschloss der Internationale Lenkungsrat (ISG), Kosovo aus der „überwachten Unabhängigkeit“ zu entlassen. Die mehrheitliche serbische Bevölkerung im Norden des Landes reagierte mit der Errichtung von Straßensperren.
Die Serben in Nordkosovo erkennen die Unabhängigkeit der ehemaligen Teilrepublik Serbiens nicht an und entziehen sich jeglicher
staatlicher Kontrolle. Regelmäßig kommt es zu Zusammenstößen mit den Soldaten der von der NATO geführten internationalen Schutztruppe KFOR.
Die Bundestagsabgeordnete Susanne Kastner (SPD) war Anfang Mai 2012 in ihrer Rolle als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses mit einer Delegation im Kosovo und besuchte deutsche KFOR-Soldaten. „Die Soldaten müssen die Stabilität zwischen den Ethnien erhalten. Es gibt enorme Unterschiede zwischen dem Camp im Norden bei Priština und im Süden in Prizren. Die Soldaten im Norden nennen das südliche Camp auch ‚Bad Prizren‘, weil sie am Camp I im Norden in Zelten schlafen und schlechte Kommunikationsmöglichkeiten haben“, so Kastner gegenüber EurActiv.de. Die Soldaten würden von Serben und Kosovaren gleichermaßen instrumentalisiert und müssten „die Kohlen aus dem Feuer holen“.
Eulex „nicht sehr beliebt“
Gleichzeitig monierten die Serben, dass sich die Mitarbeiter der Polizei- und Justizmission der EU Eulex „aus dem Staub machen“, sobald es brenzlig wird, so Kastner. Die Bundestagsabgeordnete weiß, dass Eulex „nicht sehr beliebt“ ist, „weil sie die Aufgabe haben, Menschen zu verhaften“.
Die Eulex-Mission wurde Mitte Juni 2012 für zwei weitere Jahre verlängert und umstrukturiert. Ein schlanker Verwaltungsapparat soll den Dialog zwischen Belgrad und Priština und die Umsetzung der EU-Vorgaben beschleunigen. Auf der Agenda stehen zudem die Kooperation mit lokalen Autoritäten und die Etablierung rechtsstaatlicher Strukturen in Nordkosovo.
Jochen Töpfer, Politikwissenschaftler und Soziologe an der Freien Universität Berlin, sieht das Engagement der EU kritisch: „Die internationalen Akteure von Eulex sind zivile Akteure und wenig an der Entwicklung des Landes interessiert, sondern eher an ihren Jobs. Es gibt keinen Kontakt zur lokalen Bevölkerung und sie schließen oft die Augen“.
„Schlechte Verwaltung, Arbeitslosigkeit und Armut“
Der Vorsitzende der kosovarischen Oppositionspartei Vetëvendosje, Albin Kurti äußert sich gegenüber der NGO European Stability Initiative (ESI) ähnlich. Die Mitarbeiter der internationalen Gemeinschaft seien nur wegen der Attraktivität ihrer Jobs im Land: „Doppeltes Einkommen, eine schnelle Beförderung, keine Verantwortung, keiner muss für seine Entscheidungen geradestehen, und – offen gesagt – die meisten von ihnen sind in ihren Heimatländern nur Mittelmaß“, sagte Kurti bereits 2008.
Der Oppositionspolitiker Kurti spricht sich klar gegen Eulex aus: „Wir wollen die Europäische Union mit ihrer ganzen Bürokratie nicht hier im Kosovo, sondern den Kosovo in der Europäischen Union. Kosovo bleibt weiterhin ein Pulverfass, das durch schlechte Verwaltung, Arbeitslosigkeit und Armut ernährt wird. Es gibt eine große Enttäuschung über die lokalen und die internationalen Politiker.“
Der Fortschrittsbericht 2011 der EU-Kommission fordert von Eulex „verstärkte Bemühungen“, um Geldwäsche, Drogenschmuggel, Organisierter Kriminalität und Menschenhandel angemessen entgegentreten zu können. Brüssel begründet die geringen Fortschritte mit unzureichendem Personal und mangelnden technischen Mitteln. Zudem fordert die Kommission, dass Schritte unternommen werden, um „politische Einmischung in die Polizeiarbeit“ zu unterbinden.
Wirtschaft, Politik, Organisierte Kriminalität
Dem Politikwissenschaftler Töpfer zufolge ist Kosovo weit davon entfernt, ein funktionierender Rechtsstaat zu sein. „Die inneren kriminellen Netzwerke bestehen aus politischen und wirtschaftlichen Akteuren“, so Töpfer. Der Europol-Bericht 2011 bezeichnet Kosovo als Umschlagplatz für Drogen – insbesondere Heroin – und als Basis für albanischsprachige Banden, die Waffenschmuggel und Menschenhandel betreiben. Ein vertraulicher BND-Bericht, der 2005 auf der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht wurde, benennt explizit die enge Verknüpfung von Wirtschaft, Politik und Organisierter Kriminalität.
Die kriminellen Netzwerke reichen bis in die höchsten Regierungsebenen. „Jede politische Partei war oder ist in irgendeiner Weise in kriminelle Aktivitäten verstrickt“, sagt Töpfer. In einem Bericht für den Europäischen Rat bringt der Schweizer Sonderermittler Dick Marty den ehemaligen UÇK-Führer und jetzigen Premierminister des Kosovo Hashim Thaçi mit illegaler Organentnahme und -handel in Verbindung.
Thaçi bestreitet die Vorwürfe. Der Marty-Bericht wird derzeit von dem Sonderermittler der Eulex-Mission John Clint Williamson geprüft. Töpfer ist sich sicher, dass es keine weiteren Konsequenzen geben wird. Verteidigungsausschussvorsitzende Kastner lernte Premierminister Thaçi im Mai 2012 kennen. Gegenüber EurActiv.de beschreibt sie ihn als „höflichen Mann“. Trotzdem müsse man nach einer Begegnung „seine Finger nachzählen“, so die Bundestagsabgeordnete. Er habe für die Stationierung der KFOR-Truppen
gedankt. „So muss er seine Polizei nicht aufrüsten“, vermutet Kastner.
Ein weiter Weg also noch bis zur Rechtsstaatlichkeit? „Kosovo hat bereits die besten demokratischen Strukturen, aber wenn sie nicht mit Inhalt gefüllt werden sind sie wertlos“, sagt Töpfer. „Die großen Verlierer sind die Jungen, die Alten und die Gebildeten, egal ob in Kosovo, Serbien, Bosnien, Albanien oder Mazedonien.“
Felix Weiß